Heute müssen wir zeitig los. Frühstück fällt ohnehin knapp aus, da es nach dem Stromausfall aufgrund des Sturms in der letzten Nacht noch keinen heißen Kaffe gibt. Wir müssen den 9 Uhr 30 Tunnel in Portage erreichen, damit wir um 10 Uhr 30 in Whittier an Bord der Fähre nach Valdez fahren können. Der Tunnel nach Whittier ist gleichzeitig Eisenbahn- und Autotunnel, und nur einspurig. Da sich also Züge und Autos in zwei Richtungen eine einzige Röhre teilen, gibt es je Richtung immer nur ein Mal je Stunde für 15 Minuten freie Fahrt.
Wir hangeln uns auf dem Highway wieder von Baustelle zu Baustelle und sind pünktlich kurz vor halb zehn am Tunnel. Die großen Tore des Tunnels sind gegen Eisbildung noch verschlossen Bald geht aber die Schranke auf und wir dürfen durch den Tunnel rollen. Am Besten fährt es sich etwas versetzt zum Bahngleis, auch wenn dann die rechte Felswand schonmal etwas nah kommt… Am Tunnelende sollte man tunlichst auf die Ausfahrt abbiegen, geradeaus landet man auf dem Gleis.
Wir checken nun pünktlich beim Büro des Alaska Marine Highway für unsere Fährüberfahrt ein und erfahren, dass unsere Fähre wegen des Sturms leider ausfällt: Cancelled due to wheather conditions. Freundlicherweise hat man uns schon auf die nächste Fähre umgebucht. Dumm nur, dass die nächste Fähre erst am Montag, also in drei Tagen geht. Das ist nun eher ungünstig.
Uns bleibt nichts anderes übrig, als auf dem Landweg nach Valdez zu fahren. Dauert ja nur acht Stunden.
Natürlich konnte man uns das nicht schon vor dem Tunnel mitteilen, dann wären wir ja vielleicht gleich umgekehrt und hätten keine Maut bezahlt… Immerhin erwischen wir aber gleich die nächste Tunnelöffnung und fahren nun direkt wieder zurück in Richtung Anchorage. Eine lange Fahrt liegt vor uns – aber das Wetter ist super.
Hinter dem Tunnel, am Portage Lake nehme ich mir jetzt wenigstens noch Zeit, einen Eisberg zu fotografieren, den ich auf der Hinfahrt links liegen lies.
Vor Palmer geraten wir in Stop-and-Go-Verkehr. Nicht schon wieder eine Baustelle… Ist es aber gar nicht, es ist der Zufahrtsstau zur Alaska State Fair, dem größten Volksfest in Alaska, das gestern erst begonnen hat. Hinter Palmer stoppen wir kurz, um den Blick auf den Matanuska River mitzunehmen. Für alle Europäer: So sieht ein natürlicher Flusslauf aus. Nicht so, wie unsere zu 100% kanalisierten Flüsse…
Auf dem Glenn Highway geht es Richtung Osten. In Alaska gibt es genau 12 Highways, daher leistet man sich neben den Nummern für jeden Highway auch einen schönen Namen. Aber auch die Ausblicke sind nicht ohne:
Je höher wir kommen, umso mehr hat schon der Indian Summer eingesetzt, ist das Laub goldgelb eingefärbt.
Der Matanuska Glacier fließt tief ins Tal hinab. Was für ein Kontrast von Wald und ewigem Eis, so dicht beieinander!
Etwas weiter scheint es letzte Nacht ein wenig geschneit zu haben.
Die Landschaft um uns herum: Unberührte Wildnis, nur durchschnitten vom Glenn Highway.
Den dürren langen Nadelbäumen sieht man an, dass sie sich dem rauen Klima angepasst haben. Sie sind es gewohnt, die Hälfte des Jahres in Schnee eingehüllt zu sein.
Noch ein Blick zurück und wir entfernen uns langsam von den Bergen.
Danach geht es an Dutzenden kleinen Seen vorbei, bis zum Horizont orange eingefärbte sumpfige Wiesen und spindeldürre Kiefern. An einigen Seen stehen hübsche Wochenendhäuschen, die mit dem Buschflieger ab Anchorage ja in einer knappen halben Stunde erreichbar sind.
Nach etwa vier Stunden Fahrt auf dem Glenn Highway – unsere Fähre wäre jetzt schon längst in Valdez angekommen – kündigt ein Tempolimit an, dass bald wieder Zivilisation naht. Dann ein Mobilfunkmast. Noch kein Haus zu sehen. Dann: Die Gemeindebücherei, ganz allein am Highway, umgeben vom Wald. Wieder lange nichts. Das Feuerwehrhaus. Eine Tankstelle. Der Supermarkt. Von Wohnhäusern nach wie vor keine Spur. Der „Ort“ Glennallen ist praktisch nur die Infrastruktur für alle, die im Umkreis von 200 Meilen wohnen. Einen „Ort“ als solchen gibt es nicht. Wir gönnen uns einen Kaffee, denn es liegen noch mindestens zwei Stunden Fahrt vor uns.
Es geht noch einmal durch die Berge, an riesigen Gletschern vorbei.
Das Wetter hat uns heute einen gewaltigen Strich durch die Rechnung gemacht. Aber es entschädigt uns auch.
In Valdez angekommen fahren wir erstmal zu Fish Hatchery kurz vor dem Ort. Hier soll die Chance, einen Bären zu Gesicht zu bekommen (und gleichzeitig in sicherer Nähe des eigenen Autos zu sein) am Höchsten sein. Neben der Fischzucht fließt hier ein Bach in’s Meer. Da alle Lachse, deren Geburtsort diese Fischzucht ist, eben denken, sie sind in diesem Bach geboren, führt sie ihr Instinkt nach Jahren wieder hierher. Nun würde der kleine Bach aber umkippen, lägen wirklich all diese künstlich aufgezogenen Lachse ihre Eier ins Flussbett ab.
Außerdem sollen die Fische ja ihre Eier wieder in die Fischzucht tragen. Also wird im Herbst vor dem Bach ein Wehr hochgezogen, das verhindert, dass die Fische den Fluss nach oben schwimmen können. Stattdessen geht daneben eine Fischtreppe ab, die direkt in der Fischzucht endet. Dabei entsteht aber ein solcher Fischstau, dass hier im flachen Wasser der Bach vor lauter Lachsen zu kochen scheint. Teilweise ist kaum mehr Wasser zu sehen, so dicht schwimmen sie.
Und das wäre natürlich ein super Fischbuffet für den Bären. Aber wie es immer so ist: Sind wir da, ist kein Bär da.
Haben die Lachse ihre Eier gelegt – ob nun in der Fischzucht, oder auch ganz natürlich in einem Bachlauf, segnen sie bald das Zeitliche und werden wieder hinabgespült. So ist der Meeresboden bei Ebbe nun komplett mit totem Fisch übersäht. Der tote Fisch ist wiederum Nahrung für viele andere Lebewesen – die Lachse sterben also nicht umsonst, sondern sind ein wichtiges Rad im Ökosystem.
Etwas eigenartig ist es aber schon, wenn man vor lauter toter Fische kaum auftreten kann.
Die Lachseier sind es natürlich auch, worauf der Bär am meisten scharf ist. Nur eben nicht hier, und nicht heute.
Wir gehen jetzt erstmal was essen. Beim Roadside Potatohead gibt es das beste Lachssandwich. Und Abendsonne. Nur das Vordach ist lückenhaft, einen Teil hat der Sturm mitgenommen.
Nach dem Abendessen versuchen wir unser Glück an gleicher Stelle noch einmal. Vielleicht hat ein Bär ja Lust auf etwas Abendbrot? Leider nein. Ach ja: Habe ich schon erwähnt, wie hunderttausend verwesende Fische stinken? Man nimmt doch allerhand auf sich, nur um etwas Wildlife zu sehen.
Also wieder kein Bär. Geben wir uns also mit einem Sonnenuntergang zufrieden. Mittlerweile geht die Sonne schon um 21:00 Uhr unter – also eine halbe Stunde früher, als noch vor einer Woche.
Auf dem Rückweg zum Hotel entdecken wir dann: Einen Schwarzbären. Ein junger Kerl, gut möglich, dass die Mutter nicht weit war. Frisst in einem Garten die Beeren von den Sträuchern. Obwohl ihn der Verkehr auf der Straße nicht beeindruckt, erschrickt er sich doch, als wir anhalten, und so gibt es leider kein Foto vom Schwarzbären…
Fazit des Tages: Toter Fisch stinkt. Der Bär ist lieber Beeren als Fisch. Vor Fährfahrten immer Terminbestätigung einholen.