Was nicht jeder weiß: In Key West endet zwar der Overseas Highway, die Straße übers Meer, die die Keys verbindet – jedoch enden hier noch lange nicht die Keys, also die Inselkette entlang Amerikas längstem Korallenriff. Westlich von Key West geht es schon noch weiter: Hier folgen noch eine handvoll weiterer Inseln, nur dass diese nur noch per Schiff oder Wasserflugzeug zu erreichen sind.
Den Abschluss machen dann schließlich die Dry Tortugas, das ist wirklich die allerwestlichste Insel auf dieser Kette, und die ist noch 90 Meilen von Key West entfernt! Das sind rund zwei Stunden mit dem Schiff, oder eine dreiviertel Stunde mit dem Wasserflugzeug. Nichts wie hin!
Leider war das Wasserflugzeug aber schon ausgebucht, so bleibt uns nur die Fahrt auf der Yankee Freedom III, der Fähre, die den Nationalpark ein Mal täglich anfährt. Aber so ein Mist! Die Yankee Freedom ist auch schon ausgebucht! Nun, schwimmen kommt bei 90 Meilen definitiv nicht in Frage. Kommen wir dann vielleicht gar nicht auf die Dry Tortugas, wo wir doch schon so nahe wären? Gut, ich checke die Fähre einfach nochmal – und plötzlich sind wieder ein paar Tickets für den nächsten Tag verfügbar! Vielleicht wurden die gerade von jemand Anderem zurückgegeben? Warum auch immer – der Trip ist gebucht (… und die Antwort auf das Warum? werden wir morgen erfahren)!
Noch im Dunkeln machen wir uns auf den Weg zum Fährhafen.
Dort wartet schon die erste Hiobsbotschaft auf uns: Es ist heute mit zwei Meter hohen Wellen zu rechnen! Langsam wird uns klar, warum gestern so viele die Fahrt wieder storniert haben…
Das hilft jetzt nix, da müssen wir durch. Vorsorglich werfen wir mal jeder eine Tablette gegen Reiseübelkeit ein, kann ja nicht schaden. Auch die Crew verkauft Tabletten für $1 Dollar das Stück, doch weit nicht jeder nimmt das wahr. Wir sind gespannt, wie es uns ergehen wird.
Um es schon mal vorweg zu nehmen: Es wird uns gut ergehen. Uns. Einigen Anderen, naja, nicht so.
Die erste Stunde ist die Fahrt noch ganz gemütlich. Die Besatzung hat ein Frühstücksbuffet aufgebaut, wir holen uns Kaffee und Bagels mit Erdnussbutter. Aber wir wollen das mit dem Frühstück mal nicht übertreiben: Wo weniger drin ist, kann auch weniger rausschwappen.
Wir erfahren von unserem Guide, der mit Vornamen interessanterweise Hollywood heisst, so einiges über die Dry Tortugas: Dass sie schon gleich nach ihrer Entdeckung durch einen Spanier strategische Bedeutung bekam, müssen doch alle Schiffe, die aus dem Nordosten – also zum Beispiel aus Europa – kommend, in den Golf von Mexiko wollen, die Engstelle zwischen Kuba und dem Riff der Keys genau hier passieren.
Der Entdecker nannte die Inseln die Tortugas, also spanisch für Meeresschildkröte, denn die gibt es hier zuhauf – und für die Reisenden hatte diese Angabe in der Seekarte praktisch die gleiche Bedeutung, wie wenn man heute „McDonalds“ in eine Straßenkarte einträgt: Hier gibt es was zu essen. Da es auf den Tortugas jedoch kein Wasser gibt, was einigen zum Verhängnis wurde, fügte man später noch das Dry hinzu, so dass jeder Seefahrer wusste: Hier gibt es lecker Schildkröten, aber nichts zu trinken dazu.
Ja, und aufgrund der strategischen Bedeutung hat man auf die Insel dann bald zuerst einen Leuchtturm, und später dann ein Fort gebaut. Eine Meisterleistung: Das Fort aus über eineinhalb Millionen Backsteinen ist der größte Backsteinbau Amerikas – und das mitten auf dem Meer.
Spannende Geschichte! Nur: So langsam erreicht unsere Fahrt tiefere Gewässer und die angekündigten Wellenberge. Vorn am Bug werden die Luken geschlossen, und kaum wurde angekündigt, dass man jetzt besser nicht mehr auf dem Boot rumlaufen sollte, schon stellt sich die Yankee Freedom steil auf einer Welle auf und fällt gleich darauf in ein tiiiiefes Loch hinab. Beim ersten Mal machen noch alle „Whoooo!“, wie in der Achterbahn. Beim zweiten Mal machen noch einige wenige „Whooo“. Und dann wird es ziemlich still an Deck.
Ein Blick aus dem Fenster: Kein Horizont zu sehen. Sekundenbruchteile später: Horizont huscht vorbei. Dann: Nur Wasser zu sehen. Dann wieder Horizont, wieder Himmel. So wird es jetzt eine Stunde lang gehen.
Das ist nun keine so optimale Aussicht, also machen wir das einzig Sinnvolle: Raus an die frische Luft, ans Heck des Schiffes, wo die Schwankungen am geringsten sind.
Wir kämpfen ein wenig mit der Schwerkraft, klammern uns an Türen und Geländern fest, aber schließlich erreichen wir das Heck. Hier scheint uns schön die Sonne auf den Bauch, der Blick auf den Horizont ist unverstellt, die frische Luft … nun gut, die geht so. Einerseits weht uns immer mal ein wenig Abgas um die Nase, andererseits sind wir hier hinten nicht allein: Wir finden uns inmitten des „Schiffslazaretts“ wieder – einer Handvoll sehr blasser Mitfahrer, die abwechselnd den Horizont oder den Boden ihrer Spucktüten fixieren.
An dieser Stelle eine Anmerkung am Rande: Den Tipp, auch an Deck die Spucktüten zu verwenden, anstatt sich über die Reling zu entleeren, sollte man ernst nehmen. Ich sage nur: Wind.
Nun denn, trotz der käsebleichen Gestalten um uns herum überstehen wir den wilden Ritt ganz gut. Dennoch nutzen wir die Gelegenheit, die Dry Tortugas umzutaufen. In: Dry TortuRgas.
Doch irgendwann endet die Tortur und wir erreichen die Insel!
Wir kehren an unsere Plätze im Inneren der Yankee Freedom zurück, um unsere Rucksäcke aufzusammeln. Ein Blick in die Gesichter hier drin zeigt uns noch einmal: Hinten, draußen zu bleiben, war eine gute Idee!
Trotzdem ist es schön, nun wieder festen Boden unter den Füßen zu haben.
Mal sehen, womit wir nun die Stunden hier auf der Insel verbringen werden. Groß ist sie nicht: Auf der Hauptinsel macht sich komplett das Fort Jefferson breit…
… und über einen schmalen Sandstreifen ist noch Garden Key erreichbar, eine kleine Insel, die ebenfalls in zehn Minuten umrundet wäre, auf der zwei Mal im Jahr aber so viele Vögel auf dem Weg von Nord nach Süd und andersherum Halt machen, dass sie momentan für Besucher geschlossen ist.
Wir nehmen erstmal an einer halbstündigen Orientierung teil, in der unser Guide Hollywood die Geschichte des Forts kurz umreißt. Das Ganze findet im Schatten einiger Bäume im Innenhof des Forts statt, was normalerweise sicher sehr schön ist – nur zog gestern von Norden einen Kaltfront über Florida hinab, und bei 15° kaltem Wind wird es im Schatten doch schnell ungemütlich. Wir flüchten nach dem Vortrag jedenfalls sofort zurück in die Sonne und suchen uns ein geschütztes Plätzchen zum Aufwärmen.
Danach erkunden wir noch ein wenig das Fort.
In diesem Kanonenofen wurde früher Feuer angeheizt, dann wurden hinten die Kanonenkugeln reingeschoben, und unten rollten sie dann rot glühend raus, bereit, die feindliche Armada in Brand zu setzen!
Am kleinen Sandstrand liegen schon ein paar erschöpfte Mitfahrer in der Sonne. Hier wollten wir heute eigentlich in die Fluten steigen und das Korallenriff erschnorcheln. Aber angesichts der Temperaturen können wir uns nun nicht mehr mit dem Gedanken anfreunden, hier in der Badehose ins Meer zu steigen. Wir schauen uns einfach die Meeresflora an, die schon an Land gespült wurde.
Auf der Mauer zum Burggraben kann man einmal ums Fort laufen, allerdings belassen wir es bei einer halben Umrundung, denn auf der Wind zugewandten Seite wird es echt zu ungemütlich.
Einige Mutige sind doch schon zum Schnorcheln ausgerückt. Ob es sich bei der unruhigen See gelohnt hat, wir werden es nicht erfahren.
Dafür laufen wir noch zum Nordstrand rüber, wo die Sonne den Burggraben grün leuchten lässt, und wo wir …
… eine echte Flaschenpost finden: Eine kubanische Rumflasche, nur leider ohne Nachricht drin. Gut, entspricht vielleicht nicht ganz der Definition von „Flaschenpost“.
Außerdem finden wir ein windgeschütztes Plätzchen mit Blick auf die raue See. Davor die Ruinen der ehemaligen Kohlendocks, denn zeitweise hatte man hier eine volle Infrastruktur zum Nachladen von Dampfschiffen aufgebaut, sogar eine Meerwasserentsalzung gab es mal auf diesen wenigen Quadratmetern!
Nachdem uns nun wieder warm ist, steigen wir dem Fort noch einmal aufs Dach …
… genießen den Rundblick, und packen danach unten auf der Wiese unsere Handtücher aus, um in der Sonne zu schmoren. Wenn schon nicht schnorcheln, dann wenigstens Sonnenbaden!
Kaum zu glauben, wie dennoch die vier Stunden auf den Dry Tortugas schon vergehen konnten. Wir besteigen wieder die Yankee Freedom, und bereiten uns gedanklich auf die Rückfahrt vor.
Ein Blick zurück: Links muss man sich noch den Bootsanleger vorstellen, und den 20m langen Südstrand, das ist die gesamte Insel!
Der kleine Strand sieht trotzdem traumhaft aus. Müssen wir unbedingt irgendwann wiederkommen! (Okay, naja, mal sehen.)
Die Yankee Freedom macht wieder ab. Zurück bleibt eine Handvoll Besucher, die mit den beiden Wasserflugzeugen auch bald wieder abfliegen werden, ein paar Segler, und zehn Camper – dem täglich erlaubten Maximum. Und natürlich die Ranger, die hier draußen – im am wenigsten besuchten Nationalpark der USA – Dienst schieben. Denen gehört auch das grün angestrichene Boot Fort Jefferson – falls sie die Insel mal verlassen wollen. Klingt einsam, ist aber dennoch jeden Tag ganz schön was los hier. Und schließlich sichern die Ranger auch die Außengrenze der US ab, denn die Dry Tortugas werden gerne von Boots-Immigranten aus Kuba angesteuert.
Für die Rückfahrt ergattern wir zwei Plätze im Inneren, ganz weit hinten. Die Anstrengung von der Hinfahrt und die viele Sonne hat uns doch so müde gemacht, dass wir die Stunde im tiefen Gewässer nun wie bei einem Nickerchen in der Achterbahn durchdösen.
Letztlich erreichen wir heil, und um eine Erfahrung reicher, wieder Key West.