Nasse Füße im Skaftafell

Wir fahren heute in den Skaftafell-Nationalpark, der auf der Karte gleich bei uns um die Ecke liegt, in Wirklichkeit aber eine halbe Stunde Fahrt entfernt ist. Auf der Fahrt blicken wir zuerst auf die weiten Gletscher des Vatnajökull, des mit über 8000 km² größten Eisfelds Islands, das manchmal sogar von den 550 km entfernten Faröer-Inseln zu sehen ist, was sogar einen Weltrekord darstellt.

Es geht 20 Minuten lang nur geradeaus, durch eine nicht enden wollende Schotterebene, die von vielen Gletscherläufen des Vatnajökull geformt wurde. Ein Gletscherlauf entsteht, wenn der Vulkan unter dem Gletscher das Eis so zum Schmilzen bringt, dass abrupt riesigen Mengen Eis und Wasser in’s Tal rauschen. Hier zuletzt geschehen in den Neunzigern. Dabei hat es auch die Straße und alle Brücken davongewaschen, auf denen wir gerade unterwegs sind.

In Fahrtrichtung blicken wir auf den Öræfajökull, einen Vulkan und Gletscher, und dazu auch der mit über 2.100 m höchste Berg Islands. Später lesen wir, dass der Öræfajökull aktuell unter besonderer Beobachtung steht, da sich im November eine Beule aus dem Eispanzer über seiner Caldera empor gewölbt hat, die einen Durchmesser von einem Kilometer misst. Im Februar gab es dann in der Caldera einige Erdbeben, sodass der zuletzt 1728 ausgebrochene Vulkan aktuell auf Warnstufe „gelb“ steht.

Hinter Simone schlängelt sich der Skaftafellsjökull hervor, an dessen Fuße das Visitor Center des Nationalparks liegt.

Etwas daneben bricht der Svínafellsjökull herunter, vor dessen Begehung wegen eines zu erwartenden Erdrutsches aktuell gewarnt wird.

Wir befinden uns also in durchweg sicherem Terrain, halt nur umgeben von einer Gletscher- und Vulkanwelt, die uns jederzeit um die Ohren fliegen kann…

Also ziehen wir die Wanderschuhe an, erkundigen uns kurz beim Ranger über den Zustand unseres Weges (wir werden wohl zwei Bäche furten müssen) und ziehen los!

Direkt am Besucherzentrum war noch die Hölle los, aber die meisten rennen nur den halbstündigen Weg zum Wasserfall rauf und wieder runter. Wir haben uns für eine vierstündige Rundwanderung (auch mit dem Wasserfall als Ziel) entschieden, auf der wir etwas weniger Leute antreffen. Um genau zu sein: Wir haben gar niemanden getroffen. Drei Stunden lang nicht.

Zunächst führt uns der Weg über eine Brücke über die Morsá.

Schön, dass hier eine Brücke ist, aber irgendwie führt die Brücke in’s absolute Nichts.

Wir folgen dem Nichts entlang des markierten Wegs. Einen Pfad oder so gibt es meistens nicht, wir marschieren einfach von Pflock zu Pflock.

Eine gute Stunde geht es quer durch die Schotterebene, auf den eingangs erwähnten Gletscher des Vatnajökull zu.

Manchmal ist der Weg leichter zu finden…

… manchmal ist er auch wieder schwerer zu finden. Wo ist der Pflock?

Nachdem wir um einen Bergrücken herumgelaufen sind, öffnet sich der Blick hinein in’s Tal und wir schauen direkt auf den (wenn auch noch einige Kilometer entfernten) Morsárfoss, den Wasserfall im Gletscher Morsárjökull. Der untere Teil des Gletschers ist meterdick von Erdreich bedeckt, hier ist erst kürzlich (bedeutet in Gletscherzeit: vor wenigen Jahren) ein massiver Erdrutsch niedergegangen. Immerhin schmilzt nun das Eis darunter etwas langsamer, was auch sein Gutes hat, gehen doch auch die Gletscher auf Island massiv zurück. Ab und zu hören wir es leise grummeln und sehen, wie Schnee und Eis vom oberen Teil des Gletschers auf den unteren herabrieseln.

Wie gesagt, alles sicheres Terrain hier. Man sollte halt nur nicht gerade in dem Moment vor Ort sein, in dem der Berg abrutscht.

Nach langem Marsch durch den Schotter dürfen wir uns nun durch nicht enden wollende Lupinenfelder schlagen.

Auch wenn heute morgen kurz die Sonne herauskam, mittlerweile ist es eher bedeckt, aber trocken. Nur unsere Hosenbeine werden langsam nass, weil die hüfthohen Lupinen noch recht feucht sind, und so sehr in den Weg rein wachsen.

Schließlich haben wir das Tal durchquert und erreichen die erste Furt. Der Bach ist flach, aber breit, da kommt man leider nicht mit einem längeren Schritt drüber. Simone will schon die Schuhe ausziehen, da schlage ich vor, es etwas weiter unten zu versuchen, wo der Bach sich verzweigt und etwas schmäler aussieht. Wir laufen vielleicht 10 oder 20 Meter flussabwärts und …

… können unseren Augen kaum trauen! Da hätten wir fast die Schuhe umsonst ausgezogen. Der Bach fließt hier nämlich um die Ecke und versickert einfach! Es ist unfassbar. Anstatt durch’s Wasser zu waten, gehen wir einfach drum herum. Links ein auf uns zu fließender Bach. Rechts davon: Nichts mehr. Trocken!

Ein Lupinenfeld später hat es uns dann aber doch eingeholt: Der nächste Arm des Bachs versickert leider nicht, ist zehn Meter breit und bis zu 20 cm tief. Da hilft es nichts: Schuhe aus, Luft anhalten, und durch.

Erfrischt am anderen Ufer angekommen setzen wir uns in’s Kiesbett und packen unsere Brotzeit aus.

Aber wir wären nicht in Island, würde nicht … ja, würde nicht in genau diesem Moment ein plötzlicher heftiger Regen einsetzen. Wir sind fassungslos, legen unsere Semmeln in den Regen und werfen uns in höchster Geschwindigkeit in unsere Regenkleidung. Im Stehen, die Kapuze tief in’s Gesicht gezogen, essen wir unsere leicht angeweichten Sandwiches zu Ende. Es ist ein einzige Frechheit. Eine F-r-e-c-h-h-e-i-t.

Na gut, bald nieselt es nur noch leicht, und der Ausblick entschädigt wieder ein wenig.

Wir treten den Rückmarsch an und durchqueren erneut die weite Steinwüste.

Letztlich erreichen wir wieder die Morsá, die wir hier auf einer verwegenen Hängebrücke überqueren können.

Wir steigen jetzt durch’s Grüne auf, bis wir von einem Aussichtspunkt aus unseren bisherigen Weg überblicken können. Ganz da hinten waren wir, da haben wir dan Bach gefurtet, da hat es angefangen zu regnen. Rechts vorn ist die Brücke zu erkennen.

Es nieselt jetzt nur noch abschnittsweise und in unserer Regenkleidung wird es nun von innen nass, so sehr schwitzen wir beim Aufstieg.

Zum Glück führt der Weg kurz auf Holzplanken über ein Moor, wo wir kurz anhalten und uns mal eben die Schuhe und die Regenhosen ausziehen. Kommt ja eh niemand vorbei.

Etwas später hat uns die Zivilisation dann wieder, wir erreichen den Svartifoss, einen der meistfotografiertesten Wasserfälle Islands. Immerhin muss man sich ein wenig anstrengen, um zum Svartifoss zu kommen, man muss ein paar hundert Höhenmeter rauf, und so steht der Wasserfall nicht im Programm der Island-an-einem-Wochenende-Bustouren, was uns auf der kleinen Aussichtsplattform sogar ein wenig verweilen lässt.

Gemütlich schlendern wir wieder zu unserem Ausgangspunkt herab und beenden den Tag mit leichtem Muskelkater, frisch gewaschenen Füßen und einem leckeren Fischessen in Klaustur.

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