Nachdem wir schweren Herzens aus Le Morne abgereist sind, und unser nächstes Quartier in Flic-en-Flac (etwa eine Stunde nach Norden die Küste hinauf) bezogen haben, ist es jetzt wirklich Zeit für einen Ausflug.
So schön die ersten Tage am Strand waren, so sehr wir die Ruhe und den Frieden dort genossen haben, haben wir nun doch auch wieder Lust auf etwas mehr Leben.
Da kommt gerade Recht, dass in zwei Tagen einer der wichtigsten hinduistischen Feiertage, das Maha Shivaratri, die Nacht der Shiva, stattfindet. Auf Mauritius findet sich oben in den Bergen am Kratersee Grand Basin die größte hinduistische Pilgerstätte außerhalb Indiens. Dort wandern jedes Jahr unglaubliche 400.000 Pilger hin. Vor allem strömen sie aus allen Ecken der Insel, bis zu 70 Kilometer zu Fuß hinauf zum Grand Basin.
Der Feiertag ist zwar erst am Montag, also übermorgen, aber auch am Samstag herrscht schon Hochbetrieb auf dem Weg hinauf in die Berge.
Wir haben uns extra entschieden, schon heute hinaufzufahren, weil wir ja keine Ahnung haben, ob man am Feiertag überhaupt eine Chance hat, in die Nähe des Pilgerziels zu kommen (also, mit dem Auto, ähem…).
Noch viele Kilometer vom Ziel entfernt, treffen wir die ersten Pilger. Zuerst kleine Grüppchen auf der Landstraße, dann immer mehr unterwegs von Ort zu Ort.
Da sich Fußgänger und Autofahrer auf Mauritius die Straßen ohnehin in besorgniserregenden Maßen teilen müssen, ist es ganz normal, dass die Pilger einfach zu Fuß auf der Straße unterwegs sind, und dass die Autos irgendwie um sie herum kurven.
Irgendwann schert hinter uns ein Kleinbus mit einem großen Lautsprecher im Kofferraum ein, aus dem permanent indisches Hindugedudel strömt, und so gleiten wir mit passender musikalischer Untermalung durch die Pilgerströme und sehen uns die wunderbar dekorierten Gottheiten an, die die Pilger ‚gen Kratersee schleppen.
Das ganze ist bei allem Durcheinander doch gut organisiert. Polizisten winken hektisch den Verkehr durch, Helfer halten Getränke und Stärkungen für die Pilger bereit, Zelte am Straßenrand spenden Schatten.
Natürlich brauchen wir für die letzten 10 Kilometer eine knappe Stunde, aber eine spannende. Letztlich wissen wir nicht, was hier als nächstes passieren wird, wo die alle genau lang wollen, wie viele es noch werden, und ob wir an irgendeinem Punkt wieder zurückgeschickt werden.
Zum Glück lässt man uns aber immer überall durch, und so landen wir oben am See auf einem großen Parkplatz, wo wir tatsächlich problemlos parken können. Dann folgen wir einfach den Massen.
Ein bisschen eigenartig ist es natürlich schon, quasi als Außenstehender ein solches Fest zu besuchen. Dem Vernehmen nach sind die Hindus aber ein aufgeschlossenes Völkchen und freuen sich über Besuch in ihren Tempeln, solange man sich nicht daneben benimmt. Stellt sich nur noch die Frage, was das genau bedeutet…
Da wir ja nichts falsch machen wollen, haben wir trotz der Hitze heute auf Shorts verzichtet und sind in Flipflops unterwegs, sodass wir im Tempel schön die Schühchen ausziehen können. Wir merken schon bald, dass wir als Besucher hier in der Menschenmenge einigermaßen untergehen und praktisch kaum beachtet werden. Die Pilger haben ganz schön Weg hinter sich und noch einiges an Programm vor sich und haben besseres zu tun, als uns kritisch zu mustern.
Ein paar Kinder rufen uns kichernd „Hello, how are you?“ zu, eine Oma drückt uns etwas in die Hand, das sich als Sandelholz herausstellt. Gut, dass wir es nicht gleich in den Mund gesteckt haben… Wortlos werden wir um ein Räucherfeuer herum gelotst, wo wir nach weiterer wortloser Instruktion die Holzspäne endlich mit der rechten, nicht mit der linken Hand ins Feuer werfen. Dann bekommen wir einen kleinen roten Drops geschenkt, den wir erneut zum Glück nicht gleich in den Mund schieben, es ist wohl eher so gedacht, das man sich das Kügelchen auf eine Schnur aufreiht und um den Hals hängt.
Wir versuchen weiter, nicht all zu sehr im Weg zu stehen und sehen zu, wie oben am Tempel Obst und Gemüse als Opfer abgelegt werden, Glocken geschlagen und Räucherstäbchen entzündet werden.
Die Legende besagt, dass Shiva, Gott der Zerstörung, nebst Gattin die Erde umkreiste und dabei den heiligen Fluss Ganges auf dem Kopf balancierte. Einige Tropfen des Ganges verschüttete Shiva dann bei der Landung auf der Erde, und so entstanden heilige Orte wie der Kratersee am Grand Basin.
Shiva sah nun voraus, dass irgendwann einmal Inder nach Mauritius kämen, und dann zum heiligen See pilgern würden, der ja quasi genauso heiliges Wasser enthält, wie der Ganges selbst.
(Tatsächlich liegt ja Mauritius im Indischen Ozean, und der Ganges mündet in selbigen, und somit ist in jedem Tropfen Meereswasser auch ein wenig Ganges drin. Aber der See hat natürlich mehr als diese homöopathische Dosis zu bieten.)
Rund um den See stehen nun Opfertische, auf denen die Gläubigen ihre mitgebrachten Gaben zunächst sorgfältig auf Silbertabletts zurechtlegen, und dann dem heiligen Ort übergeben. Schließlich gießen sie noch aus mitgebrachten Silberkännchen Milch in den See, und nicht wenige nehmen sich auch etwas heiliges Wasser wieder mit nach Hause.
Während der Zeremonie halten sich die Famlienmitglieder einander an der Schulter, sodass das Glück oder Kraft auf alle übergeht.
Während dieses Ritual an hunderten kleinen Altaren oder Opfertischen rund um das Ufer des Sees wieder und wieder vollzogen wird, fischen Helfer das ganze Gemüse mit Laubrechen wieder aus dem Wasser, damit der heilige See bis zum nächsten Maha Shivaratri nicht umgekippt ist.
Schließlich finden sich auf dem Gelände noch jede Menge kleine Tempel und Figuren weiterer Gottheiten, bei denen nach Bedarf ein Räucherstäbchen angezündet, oder eine Zeremonie vollzogen wird.
Die Freude über die vielen Opfergaben liegt an diesen Tagen vor allem auf Seiten der hiesigen Affen, welche freiwillig bei der Beseitigung des organischen Unrats mithelfen. Die ein oder andere Kokosnuss wird ihnen aber auch extra hingelegt, damit sie sich aus dem Wald raus trauen.
Leider sind diese Langschwanzmakakken aber doch recht scheu.
Mit Erleichterung stellen wir fest, dass auch die Mauritier Freude daran haben, die Affen hervorzulocken. Hätte ja auch sein können, dass sie uns ansehen, wie wir jemanden ansehen, der im Englischen Garten begeistert die Spatzen fotografiert…
Von einem höher gelegenen Tempel aus haben wir nochmal einen guten Überblick über den See.
Während es hier oben in den Bergen zuerst angenehm unter 30 Grad warm war, fängt es nun kurz an ein wenig zu regnen, was die Luftfeuchtigkeit wieder aufs Maximum treibt.
„Komischer Kerl“ (denkt sich der Affe gerade).
Letztlich landen wir hinter den Tempeln, wo dann der lautere Teil der Feier beginnt. Hier zeigen die oft jungen Pilgergruppen aus den vielen Tempeln im Land ihre mitgebrachten Statuen (die besten werden später prämiert) und lassen auf riesigen Lautsprecherboxen indische Popmusik laufen.
Die Figuren sind interessant anzusehen, auch wenn wir meistens natürlich keine Ahnung haben, welche Götter sie so darstellen. Alles ist aufwändigst mit Blüten geschmückt.
Einige Arrangements sehen aus wie Karnevalswägen, nur halt ohne Räder drunter, denn diese teils hunderte Kilo schweren Aufbauten wurden von Hand über viele Kilometer hier hinaufgetragen.
Während wir uns kurz in eine Ecke mit Schatten flüchten, entdeckt uns ein Paar in tollen indischen Gewändern, das wohl gerade erst angekommen ist. Der Mann stellt sein selbstgebautes Mini-Pilger-Statuen-Schmuck-Gestell neben uns ab, aber seine Frau weist ihn sofort an, es zuerst mir, dann Simone auf die Schulter zu setzen, sodass wir Fotos von uns machen können. Eine völlig unerwartete Geste.
Überhaupt werden hier die schönsten Gewänder zur Schau getragen.
Wir sehen uns noch einige weitere Statuen an.
Dann machen wir uns schließlich auf. Die Affen kennen sicher für Wochen keinen Hunger nach dieser Feier, aber wir schon. Da für die Pilger die Verköstigung überall kostenlos zu sein scheint, wollen wir uns da nicht auch noch durchschmarotzen und setzen eher auf mitgebrachte Kekse. Dieser Makakke scheint gerade die Zeitung zu lesen.
Dieser beäugt mich kritischer als ein einziger Hindu auf dem Fest es getan hätte.
Nun gut, wir lassen das Fest hinter uns, würden jetzt gerne wieder in den Inselwesten zurück, dürfen aber nur nach Osten fahren.
Also fahren wir einen kleinen Umweg von einer Stunde, die uns auch an einem „Foto-Spot“ an der wunderschönen Südküste vorbeiführt, wo die Straße eine waghalsige Kurve macht.
Dort erstehen wir bei einem Straßenhändler eine Ananas „auf die Hand“.
Rechtzeitig vor Sonnenuntergang sind wir wieder daheim, gehen kurz im Meer baden und gucken dann…
… zu, wie die Sonne verschwindet.
Es war ein schöner, aufregender Tag. Mit vielen völlig neuen Eindrücken.